Nicht in dieser Welt


Text von Marcus Everding, künstlerischer Leiter der Carl Orff-Festspiele,
entnommen dem Programmheft der Carf Orff-Festspiele Andechs 2012

Ein erlauschtes Gespräch zwischen Orff, Strauss und Kaminski
Das „wo“ lässt sich von hier aus nicht exakt bestimmen, das „wie“ und „was“ allerdings schon. Der berühmte Komponist Carl Orff befand sich, wer weiß wo, und studierte mit gewohnter Akribie den ihm wie auch immer zugekommenen Prospekt seiner diesjährigen Festspiele. Seine Reaktion auf das angekündigte szenische Programm fiel moderat lästernd aus, auch wenn ihm die Photographie arg nach regielicher Freiheit aussah. Beim Konzertprogramm, gespielt immerhin vom Münchner Rundfunkorchester, also sein Haussender BR, blieb dem unsterblichen Genius die Spucke weg. Ein klärendes Gespräch mit Kaminski und Strauss schien unmittelbar geboten.
Orff: Wer war das?
Strauss: Wer war was, lieber Orff?
Orff: Wer hat Sie beide in meine Festspiele aufgenommen?
Strauss: Bei allem Verständnis, Programme mache ich schon lange nicht mehr.
Kaminski: Sie haben wenigstens Festspiele.
Strauss: Ich auch.
Kaminski: Aber ich bin vergessen.
Strauss: Fast vergessen.
Orff: Die Frage ist doch, Kaminski, warum es ein Konzert mit Werken von Strauss und Kaminski gibt, aber keinen Orff.
Strauss: Wollen wir jetzt Aufführungen zählen?
Orff: Lieber nicht. Sollen alle auch Kaminski machen, aber das hier sind keine Kaminski-Tage.
Kaminski: Aber vielleicht geht es um den Zusammenhang. Schließlich war ich Ihr Lehrer.
Orff: Aber soll man im Lehrer den Schüler hören?
Strauss. Wie wär`s, wenn man nur den Kaminski hört und sich den Schüler denkt?
Kaminski: Was wird denn von mir gespielt?
Orff: Die Passion.
Strauss: Das passt doch zu Ihnen, lieber Orff. Haben Sie nicht ein Osterspiel geschrieben?
Orff: Und wie passen Sie da rein? Noch dazu Frühwerke von Ihnen?
Strauss: Sag ich Ihnen: Eine Linie. Ein Bogen. Zeitgenossenschaft. Lehrer, Schüler.
Kaminski: Zeitgenosse? Sie waren viel älter als wir.
Strauss: Aber ich war nicht sein Lehrer. Freundschaftlicher Ratgeber, Orff, das werden Sie zugeben.
Kaminski: Die Passion. Den Text würde ich gerne noch einmal anschauen.
Orff: Gebe ich zu. Aber was ist das für ein Bogen ohne Zentrum?
Kaminski: Sie übertreiben.
Strauss: Und tun geradeso als ob ansonsten nichts von Ihnen zu hören wäre. Schließlich wird ja nicht Der Rosenkavalier aufgeführt, sondern Die Bernauerin.
Kaminski: Jeder hat das Recht gehört zu werden. Kennen Sie meine Passion?
Orff: Ja.
Kaminski: Wer hört die noch? Keiner. Eben! In Betrachtung Ihres Werkes, da stimme ich Herrn Strauss zu, ist der christlich abendländische Themenkreis von großer Bedeutung. Eine Beziehung zwischen uns ist nicht zu leugnen, also meine Passion eine Erweiterung Ihres Anliegens, folglich ein Wiederhören meines Anliegens, und jedenfalls doch stimmiger im Orff-Rahmen als bei einem Johann Strauss Festspiel in Bad Ischl.
Strauss: Gibt`s nicht.
Kaminski: Sie erwecken den Eindruck als ob es hier um Verdrängung geht, wo es doch tatsächlich ein Neben und Miteinander ist. Wir bedingen uns nicht, aber wir können zusammen gehört werden. Das kann man auch Zusammenklang nennen. Es geht hier offensichtlich nicht um ein beliebiges Konzert, sondern um verschiedene Blickrichtungen.
Orff: Dann können Sie auch Korngold, Debussy oder Schönberg mit hinein nehmen in so ein nicht beliebiges Konzert.
Kaminski: Ja. Oder Monteverdi und Bach. Genau. Warum nicht? In Rückgriffen auf Tradition kann ich keinen Gegensatz zu Ihrem Werk sehen. Ihre Bernauerin ist auch eine Passion, Leiden und Erhöhung eines Menschen.
Orff: Sie übertreiben.
Kaminski: Ich betrachte und füge zusammen. Componere.
Strauss: So viel, wie Sie geredet haben, merkt man, dass Sie Professor waren, verehrter Kaminski.
Kaminski: Nachfolger von Pfitzner in Berlin.
Strauss: Aber nur kurz.
Kaminski: Mit Franz Marc war ich befreundet.
Strauss: Was wird das? Wer kannte wen?
Kaminski: Es gehört vieles zusammen.
Orff: Die Strauss Symphonie auch?
Strauss: Mögen Sie die nicht?
Orff: Darum geht es nicht.
Kaminski: Warum gehört es nicht zusammen? Unzweifelhaft hat jeder von uns im Übergang einer Zeit nach Tonsprache gesucht. Die Vokabeln des alten Jahrhunderts kommen verändert zu uns, wenn sie ein anderer anders spricht. Sprache und Sprecher sind Korrespondenten, die erstere wird stets gewandelt durch die Intention des Sprechers,
seine Betonung, seine Aussprache, seine Konstruktion. Seine Setzung mutiert Gekanntes in Neues, ohne im Neuen die Verbannung des Alten zu sehen. Und schließlich der Hörer, der verbindet, empfindet. Das wiederum ist jedes Mal neu. Meine Passion, Ihr Osterspiel und Ihr Zarathustra, eine sehr denkbare Kombination.
Orff: Das haben die aber nicht getan.
Kaminski: Warum sollten sie? Das ist meine Idee. Wer weiß, ein Besucher hört den Strauss, meine Passion bei Ihren Festspielen. Er verlässt den Ort, um sich genau damit zu beschäftigen. Hört sich den Zarathustra an, weil er eben aus genau diesem Konzert kam. Oder Ihr Osterspiel, von dem man nicht behaupten kann, dass es oft zu hören ist.
Orff: Das ist spekulativ.
Kaminski: Aber möglich. Also eine Chance. Programme sind keine Diktate. Ein Angebot. Ein Mehr obliegt dem Hörer.
Strauss: Das klingt gut.
Kaminski: Herr Orff?
Orff: Hm. ----------- Können wir noch einmal über Ihren Text zur Passion reden, Kaminski?

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